William Russell | Die Seekönigin [ 3/27 ]

Drittes Kapitel.
Die Tynemündung im Sturm

Zuguterletzt machte mein Vater aber eine Erfahrung, die ihn endlich zu einem Entschlusse brachte, obgleich sie ihn wohl kaum beeinflußt hätte, wäre er nicht schon ohnehin geneigt gewesen, die See zu verlassen.

Er hatte das Kommando über eine Brigg übernommen, deren Mitreeder er war und die mit Kohlen nach Calais gehen sollte. Meine Mutter erhielt von ihm einen Brief, der von jenem Hafen aus datiert war, und in dem er uns sagte, wir könnten ihn an dem und dem Mittwoch erwarten. Natürlich wußten wir, daß sein pünktliches Eintreffen vom Wetter abhing, aber gewöhnlich war er sehr zuverlässig in seinen Berechnungen und irrte sich selten um mehr als einen oder zwei Tage, wenn er kurze Küstenreisen machte.

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William Russell | Die Seekönigin [ 2/27 ]

Zweites Kapitel.
Kindheit

Unbeschreiblich ist der Reiz, den unser altes Wohnzimmer in meiner Kindheit für mich hatte. Es war mir streng verboten worden, irgend etwas anzufassen; doch wurde ich nie müde, mir die ›Kuriosa‹, wie mein Vater sie nannte, anzusehen, was wohl zur Genüge beweist, wie groß ihre Anziehungskraft für mich war. Denn welches Kind mag lange beschauen, was es nicht anfassen darf? All diese Sachen riefen in mir kindliche, harmlose Gedanken wach. Meines Vaters Gespräche, wenn er daheim war, die Geschichten, die mir meine Mutter von seinen Reisen erzählte, und die Wunder der tiefen See kamen mir bei meinen Gedankenbildern zu Hilfe oder bildeten vielmehr das Fundament derselben. Meine frühesten Erinnerungen sagen mir, daß ich die Speere und den Schild über dem ovalen Spiegel nie ansehen konnte, ohne an unermeßliche blaue Wasserflächen und an grüne, schimmernde Inseln zu denken, die wie in einem Bette flüssigen Glases ruhten. Ich sah im Geiste dunkle Gestalten durch die schneeweiße Brandung schwimmen oder auf dem goldgelben Sande dahinlaufen; die Luft war mit dem Dufte der Orangen- und Limonenbäume erfüllt und die würzigen Haine verbreiteten einen berauschenden Geruch. Die chinesischen Elfenbeinschnitzereien ließen mich von Elefanten und grünen sonnenschirmähnlichen Palmen und seltsam geformten Tempeln träumen, deren Inneres von Edelsteinen glänzte. Wahrhaftig, im Herzen war ich schon wanderlustig, als ich noch nicht alt genug war, meine Hafergrütze allein zu essen, und ich schwärmte für Seeleute und Schiffe und flog im Geiste wie ein Vogel über den Spiegel des Ozeans, noch ehe meine Zunge die Worte korrekt aussprechen konnte.

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William Russell | Die Seekönigin [ 1/27 ]

Erstes Kapitel.
Mein Geburtsort Newcastle am Tyne

Ich bin nicht nur eines Seemanns Tochter, sondern kann sogar behaupten, daß ich unter Seeleuten geboren wurde und zwar mit demselben Rechte, als ob ich an Bord eines Schiffes das Licht der Welt erblickt hätte. An dem betreffenden Abende nämlich befand sich gerade eine ganze Gesellschaft von Kapitänen und Steuerleuten im Wohnzimmer unseres Hauses. Wie meine Mutter oft erzählte, war das Zimmer so voll Tabaksqualm, daß die Gestalten der Gäste nur in schattenhaften Umrissen sichtbar waren, als der Arzt hineintrat, um meinem Vater die Nachricht von meiner Ankunft zu überbringen. Als er ihn nach längerem Suchen entdeckt zu haben glaubte, klopfte er ihm auf die Schulter und sagte: »Kapitän, ein kleines Sorgenbündel ist eben für Sie angekommen, ein niedliches kleines Mädchen. Soviel ich sehen kann, verspricht sie Ihnen ähnlich zu werden.« Dann erst bemerkte er, daß er sich an den Unrechten gewandt hatte.

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