Dreizehntes Kapitel.
»Du schöner Mai, vorbei . . . vorbei!«
Nach dem jähen Ende, welches die geträumte Brautschaft der resoluten Witwe durch die Flucht des verräterischen Geigers genommen, schien sich die arme Verlassene lange Zeit nicht fassen zu können. Sie welkte sichtlich hin und wagte kaum mehr die Stätte ihrer grausamen Demütigung zu verlassen. Frau Sobotka vermochte den Jammer ihrer Freundin nicht länger ruhig mit anzusehen. Obendrein stand ja auch Riedls Kammer noch immer leer, trotz der von der Witwe eigenhändig geschriebenen und an der großen schwarzen Tafel im Hauptflur befestigten Anzeige, daß »im sexten Hof, Stiege 22, Tirnumer 113, eine schene liftige Kahmer an einen soliten Hern zu fermiden und gleichzu bezihn« sei. Das bedeutete einen fühlbaren Ausfall in ihren an und für sich nicht allzu erheblichen Einnahmen. Frau Sobotka pflog eine ernste Rücksprache mit ihrem Gatten, welcher strengstens beauftragt wurde, für diese »liftige Kahmer« einen Mieter zu finden, mit dem vielleicht auch sonst etwas zu machen wäre. Herr Sobotka hatte Glück, er fand die geeignete Persönlichkeit. Schon wenige Tage später erschien Herr Thaddäus Friedlmayer, wirklicher Diurnist im k. k. Lotto-Gefällsamte, auf dem Korridore, von Frau Sobotka feierlich empfangen und zu der trauernden Witwe geführt. Die lange, überaus hagere Gestalt des neuen Mieters schien anfänglich nicht den besten Eindruck auf Frau Stölzl hervorzubringen, ja der kleine Pepi lief vor dem bleichen, durchaus in abgeschabtes Schwarz gekleideten Manne schreiend davon, denn Herr Thaddäus sprach nur wenige Worte, diese aber in einem düsteren Grabestone, und bewegte dabei die mageren Arme in ihren enganliegenden kurzen Ärmeln wie Windmühlflügel. Allmählich jedoch begannen sich Mutter und Sohn an die eigentümliche Erscheinung des schweigsamen Mieters zu gewöhnen. Frau Stölzl erkannte mit dem scharfen Blicke der empfindsamen Witwe, daß die strenge Miene und die tiefe, schier Schrecken erregende Baßstimme den ernsten k. k. Diurnisten nicht hinderten, ein im Grunde höchst friedfertiges, ja gutmütiges Menschenkind zu sein. Bald nachher fand die resolute Witwe, daß ihre Trauer um den unwürdigen Geiger eigentlich ein Verbrechen an ihrem Sprößlinge sei, der von Tag zu Tag dringender eines Vaters bedürftig würde, – und endlich glaubte sie aus mancherlei Anzeichen schließen zu dürfen, daß auch ihr Mieter des einsamen Junggesellenlebens überdrüssig sein müsse.
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