H.C. Andersen | Die Dryade

Die Dryade

Wir reisen zur Pariser Ausstellung:

Jetzt sind wir da! Das war ein Flug, eine Fahrt, ganz ohne Zauberei; wir fahren mit Dampf auf der Landstraße dahin.

Unsere Zeit ist die Zeit des Märchens.

Wir sind mitten in Paris in einem großen Hotel. Blumen schmücken die Treppen bis oben hinaus, über die Stufen sind weiche Teppiche gebreitet.

Unser Zimmer ist gemütlich. Die Balkontür nach einem großen Platz hinaus steht offen. Da untern wohnt der Frühling, er ist nach Paris gefahren und zur selben Zeit eingetroffen wie wir, er kam in Gestalt eines großen jungen Kastanienbaumes mit eben ausgeschlagenen feinen Blättern; wie ist er in Lenzschönheit gekleidet vor allen andern Bäumen auf dem Platz! Einer von ihnen ist ganz ausgetreten aus der Zahl der lebenden Bäume und liegt, mit den Wurzel ausgerissen, an die Erde geworfen, da. Wo er gestanden hat, soll jetzt der frische Kastanienbaum gepflanzt werden und wachsen.

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Paul Heyse | Neue Märchen | Die gute Frau

Die gute Frau

(1898)

Eines Morgens war der Teufel in sehr schlechter Laune aufgewacht. Sein Gesinde mußte es entgelten, da er bei dem gewohnten frühen Rundgang durch das finstere Reich noch strenger als sonst jede Nachlässigkeit im Dienst ahndete, so daß sich die verwegensten Höllengeister zitternd zusammenduckten, wenn nur ein Blitz aus den rothen Augen ihres Herrn und Meisters auf sie hinfuhr.

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H.C. Andersen | Was die Distel erlebte

Was die Distel erlebte

Zu dem reichen Herrensitz gehörte ein schöner, gutgehaltener Garten mit seltenen Bäumen und Blumen; die Gäste auf dem Schloß äußerten ihr Entzücken darüber, die Bewohner der Umgegend, vom Lande wie aus den Städten, kamen an Sonn- und Feiertagen und baten um Erlaubnis, den Garten zu sehen, ja, ganze Schulen fanden sich zu ähnlichen Besuchen ein.

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Paul Heyse | Neue Märchen | Lilith

Lilith

(1898)

Im dunklen Mittelalter lebte einmal eine Frau, die hatte, da der Vater ihres Kindes sie hülflos verlassen, einen so großen Haß auf alle Menschen, insonderheit die Männer, geworfen, daß sie einen Pact mit dem Gottseibeiuns schloß, um sich von ihm in aller schwarzen Magie und Hexenkunst unterrichten zu lassen.

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H.C. Andersen | Das stumme Buch

Das stumme Buch

An der Landstraße im Walde lag ein einsamer Bauernhof. Man mußte mitten durch den Hofraum hindurch. Da schien die Sonne, alle Fenster standen offen. Leben und Emsigkeit herrschte innen. Aber im Hofe, in einer Laube aus blühendem Flieder, stand ein offener Sarg. Der Tote war hier hinausgesetzt worden, denn am Vormittag sollte er begraben werden. Niemand stand und blickte voll Trauer auf den Toten, niemand weinte um ihn. Sein Gesicht war von einem weißen Tuche bedeckt und unter seinem Kopfe lag ein großes dickes Buch, dessen Blätter jedes ein ganzer Bogen aus grauem Papier waren. Und zwischen jedem lagen, verborgen und vergessen, verwelkte Blumen, ein ganzes Herbarium, das an verschiedenen Orten zusammengesucht war. Das sollte mit ins Grab, das hatte er selbst verlangt. An jede Blume knüpfte sich ein Kapitel seines Lebens.

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Paul Heyse | Neue Märchen | Der Jungbrunnen

Buchschmuck

Der Jungbrunnen

(1898)

Es waren einmal zwei alte Eheleute, Jörgel und Hanne, die hatten vierzig Jahre in Liebe und Treue mit einander gelebt und, soweit die Unvollkommenheit alles Irdischen es zuließ, vollauf Grund gehabt, mit ihrem Loose zufrieden zu sein.

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H.C. Andersen | Das Bronzeschwein

Das Bronzeschwein

Das Original der Bronze im Museo Bardini

In der Stadt Florenz, nicht weit von der Piazza del Granduca, liegt eine kleine Querstraße, ich glaube, man nennt sie Porta rossa. In dieser, vor einer Art Grünkramladen, befindet sich ein kunstreich und sorgfältig gearbeitetes Bronzeschwein. Ein frisches, klares Wässerlein rieselt aus dem Maul des Tieres, das vor Alter ganz schwarzgrün aussieht. Nur der Rüssel glänzt, als ob er blankpoliert sei, und das ist er auch, denn die vielen hundert Kinder und Lazzaroni fassen ihn mit ihren Händen an und setzen ihren Mund an sein Maul, um zu trinken. Es gibt ein hübsches Bild, wenn so ein anmutiger halbnackter Knabe das wohlgeformte Tier umarmt und seinen frischen Mund an dessen Rüssel jetzt.

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Paul Heyse | Neue Märchen | Die vier Geschwister


Die vier Geschwister

(Fragment.)

(1898)

Es waren einmal vier Geschwister, drei Brüder und eine Schwester, die wohnten, seit sie denken konnten, in Einem Hause. Doch das alte Sprüchlein: Siehe wie fein und lieblich ist es, wenn Brüder einträchtiglich bei einander wohnen! konnte auf sie nicht angewendet werden. Nicht, daß sie sich nicht herzlich zugethan gewesen wären. Sie waren aber von so gänzlich verschiedener Gemüthsart, daß in den meisten Fällen ihre Meinungen und Wünsche sich befehdeten und der Friede nur darum immer wieder hergestellt wurde, weil sie endlich ermattet vom fruchtlosen Streit ablassen mußten.

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H.C. Andersen | Der Bischof auf Börglum und seine Sippe

Der Bischof auf Börglum und seine Sippe

Jetzt sind wir oben in Jütland, oberhalb des Wildmoores; wir können den »Westwauwau« hören (wie dort die Nordsee heißt); hören wie er bellt, er ist ganz nahe. Aber vor uns erhebt sich ein großer Sandhügel; lange haben wir ihn schon gesehen und wir fahren noch immer auf ihn zu, langsam fahren wir in dem tiefen Sande.

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H.C. Andersen | Das Mädchen, das auf das Brot trat

Das Mädchen, das auf das Brot trat

Die Geschichte von dem Mädchen, das auf das Brot trat, um sich die Schuhe nicht zu beschmutzen, und dem es dann gar schlecht erging, ist wohlbekannt, sie ist geschrieben und sogar gedruckt.

Inge hieß das Mädchen; sie war ein armes Kind, stolz und hochmütig; es war ein schlechter Kern in ihr, wie man sagt. Schon als ganz kleines Kind hatte sie ihre Freude daran, Fliegen zu fangen diesen die Flügel auszurupfen und sie so in Kriechtiere zu verwandeln. Später nahm sie den Maikäfer und den Mistkäfer, steckte jeden an eine Nadel, schob dann ein grünes Blatt oder ein kleines Stück Papier zu ihren Füßen hin, und das arme Tier faßte es und hielt es fest, drehte und wendete es, um von der Nadel loszukommen.

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