Die Auster

Karl Albrecht Heise
Japanische Märchen

Auf dem Meeresgrunde lebte einmal eine Auster. Diese hatte, wie alle Austern, sehr starke Schalen, die sie, wenn ein verdächtiges Geräusch ertönte, jedesmal fest schloß; denn dann konnte ihr, wie sie glaubte, nie etwas Böses geschehen. Die Fische im Meere beneideten sie deshalb und sagten zu ihr: »Frau Auster, Ihr habt eine schöne Festung; wenn Ihr sie schließt, seid Ihr sicher und könnt daher ein recht schönes Wohlleben führen!«

»Es ist nicht weit her,« erwiderte die Auster bescheiden aber mit Stolz; »wenn ich auch vor äußerer Gefahr sicher bin, so bin ich doch nicht ohne Not; denn es ist gar zu langweilig das Leben!«

In diesem Augenblick gab es unter den Fischen eine große Unruhe und das Wasser wurde aufgerührt, flugs schloß die Auster ihre Schalen und dachte: »Ach, die armen Fische! Jedenfalls ist da wieder ein Netz oder eine Angel. Ich bin nur froh, daß ich in meiner Schale sicher bin! Ja, ja, man muß stets vorsichtig sein!«

Die Auster verhielt sich ganz ruhig; nachdem das Geräusch verstummt war, wollte sie sehen, was geschehen sei und öffnete vorsichtig die Schalen, aber o Schreck: An ihrer Schale hing ein Zettel, auf dem stand: »Diese Auster kostet 2 sen!«Ein Sen, jetzige japanische Münze = 2 Pfennig.

Sie befand sich auf dem Ladentisch eines Fischhändlers.

Hieraus kann man lernen, sich nie in Sicherheit zu wiegen und nie vor einer Gefahr die Augen zu schließen.

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Hotaru

Karl Albrecht Heise
Japanische Märchen

In einer Lotosblüte, die in einem großen Teiche stand, wohnte eine Johanniswürmchen-Familie: Vater, Mutter und Tochter.

Die letztere, »Klein-Hotaru« genannt, war ein gar liebliches Geschöpf. Wenn der Abend mild und schön war, ging sie auf dem großen Lotosblatte spazieren, das für sie ein herrlicher Garten war.

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Rai-taro.

Karl Albrecht Heise
Japanische Märchen

Raiden, auch Rai-jin, der Donnergott, genießt in Japan große Verehrung; er ist aber sehr gefürchtet, wenn er in Begleitung von Futen, dem Sturmgeist, auftritt; denn dann tobt und heult er in den Bergen und in den Schluchten; dann kracht es in den Wäldern und die Sonne versteckt sich vor dem wütenden Heer der Sturm- und Donnergeister. Allen voran stürmt hoch oben in den Lüften, umgeben von schwarzen Wolken, Futen heran, ein behaartes grausiges Ungeheuer mit krallenbewehrten Händen und Füßen. Zwei große lange Hauer ragen aus seinem Maule, eine glatte Nase, stumpfe, kurze Ohren und tückisch blitzende Augen vervollständigen die schreckenerregende Gestalt dieses Unholds. Weiterlesen „Rai-taro.“

Schlauheit schützt nicht vor Täuschung.

Karl Albrecht Heise
Japanische Märchen

Im japanischen Meere lebt ein giftiger Fisch, der den Namen FuguFugu, ein stachlicher Fisch zur Gattung der Tetrodon gehörig; das Fleisch dieses Fisches ist giftig und daher ungenießbar. Er wird nur gefangen um als Düngemittel verwendet zu werden.hat. Einen solchen Fisch hatte einst ein Mann gefangen und sich zubereitet. Schließlich kamen ihm aber doch Bedenken und er warf zunächst ein Stückchen seiner Katze hin. Diese ergriff es und eilte damit davon. Der Mann lief ihr nach um zu sehen, ob es ihr etwas schade. Die Katze aber war unter einen Holzhaufen gekrochen und kam nach einem Weilchen wieder ganz munter hervor.

Nun dachte der Mann, daß die Katze das Stück Fisch ohne Schaden zu sich genommen habe. Wenn ein so schlaues Tier, wie eine Katze, einen Fisch, der für giftig gehalten wird, nicht verabscheue, sondern unbedenklich verzehre, dann könne er es auch tun; er setzte sich hin und aß mit großem Behagen das Fischgericht. Die Katze aber war wirklich ein schlaues Tier; denn auch ihr waren Bedenken gekommen und sie hatte deshalb das Stück Fisch vorläufig versteckt um erst zu sehen, ob ihr Herr vom Fische genieße. Als sie nun sah, daß er ihn mit gutem Appetit verzehrte, da lief auch sie zurück und ließ es sich schmecken. Aber die Folgen blieben nicht aus. Das Gift fing bald an zu wirken und Herr und Katze starben unter großen Qualen. So sieht man, wie sich selbst der Schlaueste manchmal täuschen läßt.

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Der Abt des Klosters Yakushi.

Karl Albrecht Heise
Japanische Märchen
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Der Abt des Klosters Yakushi.

Bei Nara auf der Straße nach Osaka liegt ein altes Kloster, das heute allgemein unter dem Namen Nishi no KiyoHort des Westens, Nishi-Welt.bekannt ist, obgleich sein alter wirklicher Name »Yakushi-ji«Yakushi = Name des Heilgottes, ji = Kloster. Dieses Kloster befand sich früher im westlichen Teile der Stadt. Da letztere heute teilweise zerfallen und viel von ihrer Größe und ihrem Umfang verloren hat, ist die Lage des Klosters jetzt außerhalb der Stadt an der Landstraße.ist.

Einst war in diesem Kloster ein frommer, gottesfürchtiger Abt, der sich bemühte, durch seinen Lebenswandel allen ein gutes Beispiel zu geben; er sammelte keine Reichtümer an, sondern verteilte die dem Kloster gemachten Geschenke und Gaben wieder an die Armen und behielt keinen Sen für sich. So hoffte er, wenn seine Todesstunde nahe, als gerechter Diener in Buddha’s Paradies einziehen zu können. Als aber diese Stunde kam und er gottergeben des Boten Buddha’s harrte, der ihn abrufen sollte, da sah er nicht diesen, sondern einen feurigen Wagen nahen, der von allerlei buntfarbigen Höllengeistern gezogen wurde. Der Abt war aufs tiefste erschrocken und bat um Auskunft, was er, der sich keines Unrechts bewußt war, Böses begangen habe, da anstatt Buddhas Bote Diener der Hölle kämen. Die Antwort lautete:

»Du hast vor vielen Jahren eine Maß Reis aus dem Klostereigentum für dich entnommen und bis heute noch nicht zurückgegeben. Dieser Sünde wegen harret deiner die Hölle!«

Der Abt bat, ihm noch Zeit zu gönnen, diese von ihm längst vergessene Schuld, der er keine Bedeutung beigelegt habe, tilgen zu können. Diese Bitte wurde ihm gewährt.

Er rief hierauf alle Klosterbrüder und Schüler des Klosters an sein Lager, erzählte ihnen die Gefahr, in der er wegen der geringen unbedachten Schuld geschwebt habe und sagte: »Nehmet alle meine geringe Habe, veräußert sie und gebet den Erlös zum Klostergute, auf daß meine Schuld getilgt werde und ich in Frieden sterben kann. Euch alle aber ermahne ich, laßt diese Lehre nie aus eurem Herzen schwinden, denn wenn mir schon einer einzigen Maß Reis wegen die Hölle drohte, wie mag es denen erst ergehen, die sich bewußt am Klostergute vergreifen und Reichtümer zur Lust und zum Wohlleben aufsammeln!«

Nachdem er dies gesagt hatte, legte er sich zurück, seine Lippen murmelten: »Der Friedensbote naht!« »Namida Butsu – Heiliger Buddha hilf!« Ein Lächeln verklärte sein Gesicht, er war tot, eingegangen in das Paradies als getreuer Diener des Herrn.

Der bestrafte Tierquäler.

Karl Albrecht Heise
Japanische Märchen
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Der bestrafte Tierquäler.

In Yedo,Das heutige Tokyo.lebte vor Jahren ein Schirmmacher, dessen Verdienst sehr gering war, sodaß er mit Not und Sorgen zu kämpfen hatte. Auf einem Jahrmarkt sah er einmal in einer Bude einen Tiger ausgestellt und als er beobachtete, wie sich alles Volk in diese Bude drängte und der Besitzer eine gute Einnahme hatte, kam er auf den Gedanken gleichfalls auf den Märkten einen Tiger auszustellen.

Wo aber einen Tiger hernehmen? In Japan gab es keine, zum Kaufen hatte er kein Geld. Er wußte sich jedoch zu helfen. In einem Laden hatte er ein Tigerfell gesehen, dies erhandelte er; dann nahm er ein Kalb und nähte dieses in das Tigerfell. Damit es aber durch sein Blöken seine wahre Gestalt nicht verrate, band er dem Tiere das Maul zu.

Nun zog er auf die Messen und Märkte und hatte großen Zulauf, denn solch einen zahmen und friedfertigen Tiger hatte noch niemand gesehen.

Da der Verkehr in seiner Bude vom frühen Morgen bis zum späten Abend kein Ende nahm, er aber auch durch eine Pause seine Einnahmen nicht schmälern wollte, so fand er keine Zeit und Gelegenheit das arme Kalb zu füttern oder zu tränken, sodaß dasselbe nach einigen Tagen zu Grunde ging. Da kaufte er sich ein anderes Kalb und so weiter, bis er wohl an zehn Kälber seiner Geldgier geopfert hatte. Doch die Götter schlafen nicht und rächen jede Unbill, die ihren Geschöpfen zugefügt wird.

Eines Tages wurde der Mann krank, er verlor seine Sprache und nur ein klägliches Blöken ertönte, wenn er sprechen wollte. Dann ergriff ihn der Wahnsinn; er riß seine Kleider vom Leibe, umhüllte sich mit dem Tigerfell und eilte in komischen Sprüngen und unter fortwährendem Blöken auf die Straße. Hier diente er der Jugend zum Spott, die ihn mit Steinen und Unrat bewarf. So trieb er es drei Tage lang, er konnte weder essen noch trinken und starb endlich eines elenden Todes.

Das war die Strafe der Götter für seine Tierquälerei.

Der Affe und der Sake.

Karl Albrecht Heise
Japanische Märchen

Der Affe und der Sake.Sake = Reiswein.

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Es wollte einmal ein Jäger einen Affen fangen. Da aber die Affen sehr schlaue Tiere sind, gelang es ihm lange Zeit nicht einen zu fangen.

Da fiel ihm plötzlich eine List ein. Er nahm eine große Schüssel, füllte sie bis obenan mit Sake und stellte sie etwas entfernt vom Rande des Waldes auf.

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Die Wünsche des Steinhauers.

Karl Albrecht Heise
Japanische Märchen

Es lebte einmal ein Steinhauer, der mußte sich im Schweiße seines Angesichts plagen; denn sein Handwerk war ein schweres. Doch da seine Arbeiten immer gut waren, so verdiente er so viel, daß er ohne Sorgen und zufrieden leben konnte.
Seine Arbeitsstätte war am Fuße eines hohen Felsens, von dem Weiterlesen „Die Wünsche des Steinhauers.“

Maorigashima

Karl Albrecht Heise
Japanische Märchen

Maorigashima.Sprich: Maurigaschima. Diese Sage erinnert an die »Vineta« Sage.

Maorigashima war einst eine blühende Insel, deren Bewohner glücklich und zufrieden leben konnten, da alles, was man zum Leben braucht, die Insel hervorbrachte. Auch gab es dort einen vorzüglichen Ton, aus dem die Leute prachtvolle Töpfe und Schalen bereiteten, die hochbezahlt wurden. Aus diesem Grunde herrschte auf der Insel Wohlstand und Reichtum, arme Leute gab es dort überhaupt nicht.

Die Insel lag im Süden von Japan, nahe bei dem heutigen Formosa, ihr Herrscher war Pairuno, ein gottesfürchtiger und gerechter Fürst, der mit großer Betrübnis sah, wie der Reichtum und das Wohlleben die Sitten seiner Untertanen verdarb, wie diese immer mehr sich der Völlerei und dem Nichtstun ergaben und die Lehren der Götter verachteten.

Alle Mahnungen und das gute Beispiel eines gottgefälligen, redlichen Lebens des Herrschers vermochten nicht, die Bewohner von Maorigashima wieder auf den Pfad eines ehrsamen Lebenswandels zurückzubringen; im Gegenteil, die Laster nahmen überhand, selbst die Beamten, die sich bisher noch immer in Schranken gehalten hatten, ergaben sich schließlich dem lasterhaften Leben und vernachlässigten ihre Pflichten. Als Pairuno sah, daß alle seine guten Lehren nichts helfen wollten und daß ihm die Macht fehlte, gewaltsam eine Besserung der Zustände herbeizuführen, weil ja die Beamten selbst ein zügelloses Leben führten und nicht mehr gehorchten, wandte er sich an die Götter und bat diese um Hilfe und Rettung.

Eines Tages war er wieder im Tempel in inbrünstigem Gebete versunken, da hörte er eine Stimme, die ihm zuraunte:

»Das Maß der Sünden Maorigashima’s ist voll und die Götter haben beschlossen, die Insel mit allen Bewohnern zu vernichten. Du allein bist ausersehen am Leben zu bleiben, um der Nachwelt den Untergang der Insel zu verkünden, auf daß andre sich daran ein Beispiel nehmen. Halte darum ein Schiff bereit, um, wenn die Stunde naht, dich dem Strafgerichte zu entziehen, das die Götter über Maorigashima und seine Bewohner verhängt haben. Weil du gerecht bist und die Götter ehrst, sollst du die Stunde des Gerichts wissen. Wenn das Antlitz der Tempelwächter, die als Bildsäulen am Eingang des Tempels stehen, rot sein werden, dann schiffe dich ein und säume nicht; solange die Antlitze ihre weiße Farbe behalten, hat es keine Gefahr!«

Pairuno dankte den Göttern für die Offenbarung und bat diese seinen Untertanen bekannt geben zu dürfen, auf daß sich bekehren könne, wer es wolle. Die Götter bewilligten die Bitte und gaben Pairuno die Zusicherung, daß ein Jeder, der sich freiwillig mit ihm einschiffe, verschont und gerettet sein werde. Hocherfreut ging der Herrscher in seinen Palast zurück. Er ließ alle Beamten rufen und verkündete ihnen, was ihm die Götter offenbart hatten; auch gab er Befehl, dies dem ganzen Volke bekannt zu geben.

Aber die Beamten und das Volk verlachten die Warnung und spotteten über ihren Fürsten, ja einer der Beamten schlich sich eines Nachts heimlich zum Tempel und beschmierte die Gesichter der Bildsäulen mit rotem Ton.

Als Pairuno dies am Morgen sah, glaubte er die Stunde des Strafgerichts gekommen und schiffte sich schnell mit den Seinen ein. Er forderte das Volk auf sich zu retten und bat zu ihm aufs Schiff zu kommen. Doch alle verlachten ihn und der Spötter, der in der Nacht die Gesichter der Bildsäulen beschmiert hatte, gestand seine Tat hohnlachend ein, indem er erklärte, daß nicht die Götter, sondern er die Rotfärbung vorgenommen habe.

Aber Pairuno entgegnete ernst:

»Die Götter haben mir nicht gesagt, daß sie selbst das Weiß der Angesichter der Tempelwächter in Rot verwandeln werden, sondern sie haben mir nur gesagt, wenn das Antlitz rot sein werde, dann sei die Stunde gekommen! Rot sind jetzt die Angesichter und an den Worten der Götter soll man nicht drehen und deuteln. Wenn du Spötter den Göttern vorgegriffen hast, umso schlimmer für dich!«

Damit gab Pairuno den Befehl vom Lande abzustoßen und in angemessener Entfernung zu verharren. Kaum war das geschehen, da verfinsterte sich die Luft, ein Brausen ertönte aus der Tiefe des Meeres, dessen Wellen sich hoch auftürmten, und die Insel sank mit allem, was darauf war, auf den Meeresgrund. Dann wurde es wieder licht, das Meer lag ruhig wie immer, ein azurblauer Himmel lächelte, aber von der blühenden Insel war nichts mehr zu sehen. Pairuno fuhr nach dem Festlande und gab Kunde vom Ende Maorigashima’s und seiner Bewohner.

Noch heute, wenn bei ruhigem Wetter und mondklaren Nächten Fischer über die Stätte fahren, da die Insel einst gestanden, können sie tief unten die Straßen und Häuser erkennen; manchmal geschieht es auch, daß die Netze das eine oder andere Stück der früher auf Maorigashima angefertigten kostbaren Töpferwaren, eine Vase, eine Schale oder irgend einen Topf enthalten. Solche Gegenstände sind sehr begehrt und werden hoch bezahlt, deshalb wird ein jeder Fischer glücklich gepriesen, der ein solches Stück findet. Viele hat es schon verlockt, nach solchen Gegenständen zu suchen, doch nur, wer reinen Herzens ist und den nicht die Sucht nach Reichtum treibt, den lassen die Götter einiges finden; alle übrigen aber müssen mit leeren Händen und oftmals auch mit zerrissenen Netzen heimkehren.

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Die Kröte von Osaka und die von Kyoto.

Karl Albrecht Heise
Japanische Märchen

In Kyoto wohnte einmal eine Kröte, die sehr reich und gelehrt war. Einmal hörte sie von NaniwaNaniwa = altjapanischer Name für Osaka.und den dortigen Kunstschätzen sprechen und sie bekam den Wunsch diese einmal zu sehen.

Eines schönen Frühlingstages machte sie sich denn auch auf die Reise, die sie aber zu Fuß unternahm, weil man bei einer Fußreise mehr sehen und erfahren kann.

So wanderte sie denn von Kyoto den Weg entlang, der nach Osaka führt und kam über Myosin und Yamasaki bei Hishi Kaido, wo der berühmte Berg Tenno ist, über den der Weg führt.

Da der Tenno yamaTennoyama = Berg Tenno, Tenno = Name, yama = Berg.in der Mitte zwischen Kyoto und Osaka liegt, so beschloß die Kröte, als sie mit Mühe und Not die Berghöhe erklettert hatte Rast zu machen.

Nun wohnte aber auch in Osaka eine Kröte, die zur gleichen Zeit den Wunsch hatte, Kyoto zu sehen; auch diese machte sich auf den Weg und kam nach vieler Mühe über Tokatsuki ebenfalls auf dem Gipfel des Tennoyama an, wo sie mit ihrer Kollegin aus Osaka zusammentraf.

Beide Kröten begrüßten sich, wie es bei solch hohen Herrschaften üblich ist, mit vielen Verbeugungen und besprachen ihre Reise.

Schließlich sagten sie: »Wir haben hier erst die Hälfte unserer Reise hinter uns und die andere Hälfte noch vor uns. Aber unsere Beine und Hüften schmerzen uns und drücken uns nieder. Da wir von hier Osaka und Kyoto sehen können, so wollen wir uns auf unsere fünf Zehen stellen und jede den Ort betrachten, wo wir hin wollten. Auf diese Weise vermeiden wir weitere Anstrengung und Schmerzen!«

So taten sie.

Die Kröte von Osaka wendete den Kopf nach Kyoto, die von Kyoto nach Osaka, dann richteten sie sich auf ihren Hinterfüßen auf und betrachteten aufmerksam die betreffende Stadt.

Da nun aber die Kröten ihre Augen oben auf dem Kopfe haben, (woran die beiden nicht dachten), so schauen sie, wenn sie sich emporrichten stets rückwärts. Und so kam es, daß die Kröte von Osaka nicht Kyoto sondern Osaka und die andere gleichfalls nicht Osaka sondern Kyoto sah, jede also die Stadt, von der sie hergekommen war.

Als sie genug geschaut hatten, sagte die Kröte von Kyoto: »Ich habe gehört, daß Osaka eine berühmte Kunststadt sein soll; aber ich sehe, sie ist gar nicht anders als Kyoto. Da ist es besser gleich heimzukehren!«

Auch die Kröte von Osaka sagte, indem sie eine verächtliche Grimasse schnitt: »Und ich hörte, daß die HauptstadtKyoto war von 794 bis 1869 die Hauptstadt Japans.die schönste Stadt des Landes sei und einer Blume gleiche; jetzt sehe ich aber, daß sie vollständig Osaka gleicht. Da kehre ich auch um und gehe heim!«

Sie begrüßten sich gegenseitig zum Abschied und gingen eine jede in ihre Heimatstadt zurück.

Wir können an diesem Beispiel lernen, daß oft ein falsches Urteil gefällt wird, weil man seine Augen nicht richtig benutzt und nicht weiß, wo man sie hat. Daher ergeht es vielen Menschen so wie diesen Kröten.