Brigitte Augusti | Mädchenlose | 2. Buch (10 und Schluß)

Zehntes Kapitel

Im Myrtenkranz

Noch einen Blick werfen wir auf die uns wohlbekannten Personen, welche an einem der letzten Tage des scheidenden Jahres an der reich und festlich geschmückten Tafel des Westheimschen Hauses vereinigt sind, um Ernas Ehrentag zu feiern. An der Spitze sitzt das junge, eben vermählte Paar, und sein Anblick ist wohl geeignet, die Herzen der beiderseitigen Eltern mit Dank und Freude zu erfüllen. Erna ist eine holdselige Braut; aus den großen Augen strahlt volle, tiefe Befriedigung; ihre ganze Erscheinung ist umflossen von dem Zauber blühender Jugend und bräutlichen Glückes. Der schöne, hohe Mann an ihrer Seite blickt mit zärtlichem Entzücken auf sein junges Weib, das schon als kaum erschlossene Knospe sein Herz gefangen nahm, um es nie wieder loszulassen. Die zwei Jahre des Wartens haben seine Liebe vertieft, sein Inneres gereift und ihm den Stempel edelster, charaktervoller Männlichkeit sichtbar aufgeprägt. – Frau v. Westheim ist immer noch eine höchst anziehende Erscheinung; ihre Blicke ruhen mit mütterlichem Stolz auf der lieblichen Tochter, doch mischt sich schon die tiefe Wehmut des Scheidens darein; verliert sie doch an ihrem Kinde zugleich eine Freundin, mit der sie in den letzten Jahren jede Empfindung, jede Ansicht teilen konnte, bei der sie immer volles Verständnis und lebendigste Teilnahme fand.

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Brigitte Augusti | Mädchenlose | 2. Buch (9)

Neuntes Kapitel

Was daraus wurde

Den 30. Juli,

Tage vergehen in stillem Abschiednehmen von allem, was mir hier lieb und teuer geworden ist; ich möchte jede schöne Stelle zeichnen, um wenigstens ein schwaches Abbild davon mitzunehmen. Gestern vormittag erhielt ich einen Brief vom Papa, der mir schreibt, er käme am 31., um mich abzuholen, ich möchte für einige Stunden die Gastfreundschaft des Hauses für ihn erbitten, abends führen wir weiter, um Mama entgegenzureisen. Eine reizende Aussicht! – Ich eilte mit dieser Botschaft zu Frau Klingemann, sie nahm die Anmeldung sehr freundlich auf und sagte dann in herzlich warmem Ton:

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Brigitte Augusti | Mädchenlose | 2. Buch (8)

Achtes Kapitel

»Zu wohlthätigem Zwecke«

Den 25. Juli.

Alles ist vorüber! nach der Aufregung der letzten Woche, nach all der angestrengten Thätigkeit ist es heute wunderbar still. Wenn wir unsern klingenden Erfolg ansehen, der sich immer noch durch Zusendungen vermehrt, wenn wir an all die Lobsprüche denken, die uns zu teil geworden sind, so können wir nur dankbar sagen: es war gelungen! Laß Dir nun alles genau berichten, meine teure Mama, Du hast lange nichts Ausführliches von mir gehört, nur flüchtige Briefchen erhalten, und ich weiß doch, daß Du herzlichen Anteil an unserm Unternehmen nimmst.

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Brigitte Augusti | Mädchenlose | 2. Buch (7)

Siebentes Kapitel

Große Pläne

Den 14. Juli.

Wir haben Frau Klingemanns Geburtstag heute still und einfach begangen, nur der Morgen trug ein festliches Gepräge. Schon am Abend vorher hatten wir eine Menge von Kränzen geflochten und damit die Veranda und das Grab des verstorbenen Sohnes ausgeschmückt, denn der erste Gang der lieben Frau an diesem Tage gilt dieser Stätte, niemand als ihr Mann darf sie begleiten. Als die beiden von ihrer stillen Trauerfeier zurückkehrten, standen wir andern alle im Wohnzimmer bereit und empfingen sie mit dem Gesänge: O, wie selig seid ihr doch, ihr Frommen, die ihr durch den Tod zu Gott gekommen. Nach der Betrachtung sangen wir, Tante Emma, Rose und ich, das Engelterzett aus dem Elias: Hebe deine Augen auf zu den Bergen, von denen dir Hilfe kommt.

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Brigitte Augusti | Mädchenlose | 2. Buch (6)

Sechstes Kapitel

Einquartierung

Den 12. Juli.

Das war gestern eine Überraschung! Das Militär rückte im Laufe des Vormittags in Quartier, die Offiziere wurden sogleich auf ihre Zimmer geführt und erschienen erst kurz vor Tische im Wohnzimmer. Ich kam erst etwas später hinein, und die Vorstellung mußte wiederholt werden.

»Herr Lieutenant von Lilienkron, Herr Dr. Mansfeld – Fräulein v. Westheim.« Wir sahen uns einen Augenblick erstaunt an, dann rief Axel: »Bei allen Göttern, es ist die kleine Cousine Erna! Aber allerdings wunderbar verändert in den fünf oder sechs Jahren, seit ich sie zuletzt gesehen!« Er reichte mir herzlich die Hand.

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Brigitte Augusti | Mädchenlose | 2. Buch (5)

Fünftes Kapitel.

Verschiedene Stimmen.

Den 29. Juni.

Heute war ein fremder Herr hier, der uns bei der Vesper als Regierungsrat Freyenstein vorgestellt wurde, ein sehr stattlicher, gut und nobel aussehender Mann. Die Unterhaltung war lebhafter als gewöhnlich; es wurde viel von einer Verlobung gesprochen, die vor kurzem in der benachbarten Stadt gefeiert worden und der nur die Bekanntschaft eines einzigen Tages vorhergegangen war. Die alte Frau Klingemann sprach sich mit großer Entschiedenheit dahin aus, daß sie solche Verbindungen nur als verwerflichen Leichtsinn betrachten könne, von Liebe sei dabei keine Rede, denn die Liebe müsse langsam auf dem sichern Grunde genauer Bekanntschaft und gegenseitiger Achtung erwachsen.

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Brigitte Augusti | Mädchenlose | 2. Buch (4)

Viertes Kapitel

Der Sturm

Den 23. Juni.

Ich habe lange nichts in mein Tagebuch geschrieben, alle unsere Gedanken, unsere Zeit, unsere Hände waren in Anspruch genommen; ich konnte Dir nur den kurzen Brief schreiben, den Du inzwischen wohl erhalten hast.

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Brigitte Augusti | Mädchenlose | 2. Buch (3)

Drittes Kapitel

Licht und Schatten

Den 13. Juni.

Gestern haben wir einen reizenden Sonntag verlebt. Der Morgen war so köstlich frisch, die Vögel schmetterten so fröhlich in den blühenden Gebüschen, eine so festliche Stille lag über dem Hof ausgebreitet, daß mir auf einem kurzen Gange durch den Garten weihevoll und froh zugleich zu Mute wurde. Als wir beim Frühstück saßen, erschien Herr Klingemann auf der Veranda und fragte, ob wir Lust hätten, nachmittag eine Spazierfahrt zu unternehmen, er könne uns heute jede beliebige Anzahl Wagen zur Verfügung stellen. Ein betäubender Jubel erhob sich unter der jüngern Gesellschaft, und eine Unzahl von Vorschlägen schwirrte sogleich durch die Luft. Mühsam gebot Fräulein Lietzner Schweigen und schlug nun ihrerseits vor, auf den Johannesplatz zu fahren, dort Kaffee zu kochen und danach auf der Wiese Spiele zu spielen; einige Jugend aus der Nachbarschaft könne dazu aufgefordert werden. Nun entstand ein neues, jubelndes Entzücken, das aber plötzlich gedämpft wurde, als Frau Klingemann erklärte, sie werde mit Bruno zu Hause bleiben, aber gern dafür sorgen, daß zu dieser Partie alles aufs beste vorbereitet werde. Einige Stimmen riefen: Bruno muß mit! andere: ohne die Mutter ist es kein Vergnügen! Die kleinen Mädchen hängten sich liebkosend an ihre Mama und sahen mit feuchten Augen flehend zu ihr auf. »Ich denke, Mutter, es geht, daß ihr beide mitfahrt,« sagte Herr Klingemann, »wir nehmen für euch das Coupé; gewiß finden sich Freiwillige, die für Bruno Decken und Kissen vom Wagen bis zum Lagerplatz tragen, ihn selbst übernehme ich. Der arme Bursche ist ja ziemlich wohl, das Wetter sicher und schön, es wird ihm selbst Vergnügen machen, und du kannst mit ihm nach Hause fahren, wann du willst.«

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Brigitte Augusti | Mädchenlose | 2. Buch (3)

Drittes Kapitel

Licht und Schatten

Den 13. Juni.

Gestern haben wir einen reizenden Sonntag verlebt. Der Morgen war so köstlich frisch, die Vögel schmetterten so fröhlich in den blühenden Gebüschen, eine so festliche Stille lag über dem Hof ausgebreitet, daß mir auf einem kurzen Gange durch den Garten weihevoll und froh zugleich zu Mute wurde. Als wir beim Frühstück saßen, erschien Herr Klingemann auf der Veranda und fragte, ob wir Lust hätten, nachmittag eine Spazierfahrt zu unternehmen, er könne uns heute jede beliebige Anzahl Wagen zur Verfügung stellen. Ein betäubender Jubel erhob sich unter der jüngern Gesellschaft, und eine Unzahl von Vorschlägen schwirrte sogleich durch die Luft. Mühsam gebot Fräulein Lietzner Schweigen und schlug nun ihrerseits vor, auf den Johannesplatz zu fahren, dort Kaffee zu kochen und danach auf der Wiese Spiele zu spielen; einige Jugend aus der Nachbarschaft könne dazu aufgefordert werden. Nun entstand ein neues, jubelndes Entzücken, das aber plötzlich gedämpft wurde, als Frau Klingemann erklärte, sie werde mit Bruno zu Hause bleiben, aber gern dafür sorgen, daß zu dieser Partie alles aufs beste vorbereitet werde. Einige Stimmen riefen: Bruno muß mit! andere: ohne die Mutter ist es kein Vergnügen! Die kleinen Mädchen hängten sich liebkosend an ihre Mama und sahen mit feuchten Augen flehend zu ihr auf. »Ich denke, Mutter, es geht, daß ihr beide mitfahrt,« sagte Herr Klingemann, »wir nehmen für euch das Coupé; gewiß finden sich Freiwillige, die für Bruno Decken und Kissen vom Wagen bis zum Lagerplatz tragen, ihn selbst übernehme ich. Der arme Bursche ist ja ziemlich wohl, das Wetter sicher und schön, es wird ihm selbst Vergnügen machen, und du kannst mit ihm nach Hause fahren, wann du willst.«

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Brigitte Augusti | Mädchenlose | 2. Buch (2)

Zweites Kapitel

Neue Eindrücke

Erna an ihre Mutter.

Lindenhorst, den 8. Juni.

Meine heißgeliebte Mama!

Acht Tage ist es her, seit Du von mir schiedest, aber mir scheint eine unendliche Zeit seitdem vergangen, und wie eine Ewigkeit dehnen sich die fünf Wochen, die bis zu Deiner Rückkehr noch verfließen müssen, vor mir aus. Seit gestern sind wir hier in Lindenhorst, und ich glaube mich in eine so gänzlich fremde Welt versetzt, daß ich ohne meine liebe Nora mich gar nicht zurechtfinden könnte. Ich zittere vor dem Augenblick, da sie mich hier allein lassen wird, denn bekannt und heimisch werde ich mich hier wohl niemals fühlen. Nie hätte ich geglaubt, daß das Leben unter gebildeten Menschen so ganz verschiedene Gestalten annehmen könne, aber hier erinnert mich nichts an unser schönes friedliches Leben zu Hause. Meine süße Mama, welche Seligkeit wird es sein, mit Dir in unserm traulichen Wohnzimmer, oder oben an meinem Schreibtisch zu sitzen – ich träume davon im Wachen und Schlafen, wie von einem verlorenen Paradiese. Hier scheint niemand das Bedürfnis der Ruhe und Sammlung zu kennen; das saust und braust den ganzen Tag, daß mir zuweilen angst und bange wird. Bei Tisch sind wenigstens zwanzig Personen, und ich werde wohl niemals dahin kommen, sie alle zu kennen und zu unterscheiden. Bis jetzt sind mir nur wenige Gestalten aus dem großen Wirrsal klar geworden, Herr und Frau Klingemann, die mich sehr freundlich begrüßten, und ein junges Mädchen, Rose Grund, die seit dem Frühjahr hier ist, um sich nach schwerer Krankheit zu erholen. Sie hat für mein Erstaunen über die unbekannten Verhältnisse nur Gelächter und Spott, und ich fühle mich wenig zu ihr hingezogen.

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