Karl Simrock | Der Rhein | Zweiter Teil | Der Eichelstein

Der Eichelstein

Nach dieser Herzensergießung führte mich der Greis über den Flur seiner Wohnung in das zweite Turmzimmer, dessen nach Südosten gerichtetes Fenster eine Aussicht von überraschender Schönheit darbot. Zwar macht sich jene allmählich ansteigende beackerte Fläche, welche den Namen Hechtsheimer Berg führt, in der Nähe so breit, daß der Blick in das obere Rheintal zu dringen verhindert wird. Sie entzieht ihm selbst das benachbarte Weißenau, dessen Kirchturm allein noch sichtbar bleibt. Aber über dem Hechtsheimer Berg schiebt sich das viel entferntere Gebirge der Bergstraße und des Odenwaldes mit seinen blauen Gipfeln im Halbzirkel vor, und das von der Wendung des Stroms getäuschte Auge wähnt es größtenteils, gleich den Vogesen und dem Donnersberg, auf der linken Rheinseite gelegen.

Weiterlesen „Karl Simrock | Der Rhein | Zweiter Teil | Der Eichelstein“

Karl Simrock | Der Rhein | Zweiter Teil | Die Zahlbacher Wasserleitung

Die Zahlbacher Wasserleitung

Römersteine im Zahlbachtal

Als die Urheberin dieses gewaltigen Werkes, als die Gründerin von Mainz, ist die 14. Legion anzusehen, welche unter Titus, der die Standquartiere veränderte, von der 22. abgelöst wurde. Wenn man die Arbeiten betrachtet, durch die sie sich in unserer Gegend ewige Denkmale gestiftet haben, so muß man über die Anstrengungen erstaunen, welche damals dem Krieger auch in Friedenszeiten zugemutet wurden.

Weiterlesen „Karl Simrock | Der Rhein | Zweiter Teil | Die Zahlbacher Wasserleitung“

Karl Simrock | Der Rhein | Zweiter Teil | Gründung von Mainz

Gründung von Mainz

Der als Weinberg angelegte Kästrich. Detailausschnitt aus Matthäus Merian dem Jüngeren, 1655.

Das erste Fenster, an das wir treten, hat die südwestliche, vom Rhein abgekehrte Richtung nach dem Inneren des Landes. Links sieht man die aus dem Gautor tretende Alzeyer Straße, die auch Napoleons Namen trägt, die Felder durchschneiden, rechts läuft eine andere nach Ingelheim und Bingen. Geradeaus hat man Bretzenheim vor sich; das nähere Zahlbach verbirgt sich in dem Tal der Zei. Wir öffnen nun das Fenster und blicken ins Freie. Ein belebender Strom köstlicher goldener Luft quillt uns entgegen. Rechts dehnt sich der nun erweiterte Gesichtskreis bis tief in den Rheingau aus. Zu unseren Füßen sehen wir den innerhalb der Stadtmauern liegenden Kästricher Weinberg, über ihm eine einzelne, keineswegs glänzende Häuserreihe, der Kästrich genannt. Den Wein, welcher in jenem – auf klassischem Boden – gewonnen wird, schätzt man dem Hochheimer gleich. Dasselbe hört man von dem Gewächs des Jakobsbergs unter der Zitadelle versichern. Immer wird aber die Domdechanei, die beste Hochheimer Lage, ausgenommen.

Weiterlesen „Karl Simrock | Der Rhein | Zweiter Teil | Gründung von Mainz“

Karl Simrock | Der Rhein | Zweiter Teil | Stephansturm

Stephansturm

St. Stephan zu Mainz: Blick vom Bonifaziusturm A auf den großen Glockenturm, der jahrhundertelang der höchste Punkt der Stadt war, und das Langhaus.

Was könnten wir Besseres tun als uns sofort in die goldene Luft zu begeben und so hoch in ihr emporzusteigen als möglich? Die Mittel dazu bietet uns der 210 Fuß hohe Turm der Stephanskirche, die unweit der goldenen Luft auf dem höchsten Punkt der Stadt liegt. Wir lassen uns durch die Kirche unter ihm nicht aufhalten, obgleich Willigis sie gestiftet hat, der auch in ihr begraben liegt und dessen glockenähnliches Meßgewand sie als eine unschätzbare Reliquie bewahrt.

Weiterlesen „Karl Simrock | Der Rhein | Zweiter Teil | Stephansturm“

Karl Simrock | Der Rhein | Zweiter Teil | Die goldene Luft

Die goldene Luft

Die naheliegende Vermutung eines Zusammenhangs des goldenen Mainz mit jener Stadtgegend, welche ihrer hohen und gesunden Lage wegen noch heute den schönen Namen der goldenen Luft führt, wird durch nichts bestätigt. Weniger zweifelhaft ist der Bezug der goldenen Luft auf den römischen Vicus salutaris. In den Römerzeiten war nämlich die bürgerliche Stadt nach dem Beispiel Roms in vier Quartiere (vicos) geteilt. Jeder Vicus hatte seinen eigenen Schutzgott. Die Lage des Vicus salutaris, welcher dem Jupiter und der Juno geweiht war, glaubt man wegen des entsprechenden Namens in der heutigen goldenen Luft zu finden. Was von dieser die Sage erzählt, möge uns Rückert berichten:

Weiterlesen „Karl Simrock | Der Rhein | Zweiter Teil | Die goldene Luft“

Karl Simrock | Der Rhein | Zweiter Teil | Das goldene Mainz

Das goldene Mainz

Warum Mainz den Beinamen »das goldene« führt, auch darüber sind sich weder die Gelehrten noch die Ungelehrten einig. Ich erinnere mich, gelesen zu haben, Straßburg (Argentoratum) sei »das silberne«, Mainz »das goldene« und Köln, das wegen seiner Schwerter berühmt war, »das eiserne« genannt worden. Allein Köln heißt immer »das heilige«, Mainz selbst soll in der römischen Zeit den Beinamen »das eiserne« geführt haben. Und wenn es auch mit den Epitheten der beiden anderen Städte seine Richtigkeit hätte, so bliebe »das goldene« von Mainz noch zu erklären.

Weiterlesen „Karl Simrock | Der Rhein | Zweiter Teil | Das goldene Mainz“

Karl Simrock | Der Rhein | Zweiter Teil | Fabeln von Mainz

Fabeln von Mainz

Eine andere Ehrenrettung von Mainz möge sich anschließen. Wer diese Stadt erbaut hat und woher sie ihren Namen leitet, ist keineswegs ein Geheimnis. Dennoch findet man hierüber in den alten Chroniken eine Menge fabelhafter Angaben, die den Namen von Sagen nicht verdienen und die wir keiner Erwähnung wert achten würden, wenn die Erfahrung nicht zu oft lehrte, daß sich auch aus den willkürlichsten Erfindungen unwissender Mönche, wenn sie nur alt sind, immer noch etwas lernen läßt.

Weiterlesen „Karl Simrock | Der Rhein | Zweiter Teil | Fabeln von Mainz“

Karl Simrock | Der Rhein | Zweiter Teil | Die Hauptstraßen

Die Hauptstraßen

Doch der Ankömmling hat keine Zeit, sich solchen Erwägungen hinzugeben; er überläßt sich nicht einmal dem Genuß des Anblicks, sondern eilt der Stadt zu, die ihn, obgleich eine Festung, doch mit offenen Toren statt Armen empfängt. Oft und gern wird er künftig, wenn sein Aufenthalt von längerer Dauer ist, nach der Brücke zurückkehren. Ist er von kürzerer, will der mit dem Dampfschiff angekommene Fremdling vielleicht schon morgen oder in einer halben Stunde nach Worms oder Bingen, nach Frankfurt oder Alzey abgehen, so vertraue er sich meiner Führung. Ich bin nicht zum ersten Mal hier; Mainz, die Geburtsstadt meiner Eltern, ist mir lieb und wert, es liegt mir dran, sie aus dem Ruf zu bringen, als ob sie aus engen, krummen und winkeligen Gassen bestünde.

Weiterlesen „Karl Simrock | Der Rhein | Zweiter Teil | Die Hauptstraßen“

Karl Simrock | Der Rhein | Zweiter Teil. Von Mainz bis Köln und Aachen

Zweiter Teil. Von Mainz bis Köln und Aachen

Mainz

Die Schiffbrücke

»So muß man sich plagen«, ruft ein dicker, freundlicher Mann in einem Kasten, »bis man seine hunderttausend Gulden beisammen hat.« Und behaglich streicht er die Kupferlinge ein, die ihm als Brückengeld entrichtet werden.

Mit wenigen Schritten stehen wir auf der berühmten Schiffbrücke und sehen die weißblauen Fluten des Rheins neben den rotgelben des Mains unvermischt hinfließen, bis sie sich in ihrem Brautbett, dem Binger Loch, im Herabfallen über Klippen vermählen. Vor uns mit seinem majestätischen Dom das einst goldene Mainz, zwar nicht mehr in der Mittagssonne seines Glanzes und Glücks, aber immer noch ein prächtiger Anblick.

Weiterlesen „Karl Simrock | Der Rhein | Zweiter Teil. Von Mainz bis Köln und Aachen“

Karl Simrock | Der Rhein | Bergstraße und Odenwald

Bergstraße und Odenwald

Odenwald heißt das Gebirge zwischen Neckar, Rhein und Main, Bergstraße dessen westliche, dem Rhein zugekehrte Abdachung. Den Namen des Odenwalds von Odin, dem obersten der deutschen Götter, abzuleiten, müssen wir aufgeben, seit sich Jakob Grimm dagegen erklärt hat. Uns bleibt noch die Wahl zwischen drei Herleitungen: von dem Männernamen Odo, von ôdi (öde) und von ôd (Glückseligkeit). Öde ist heutzutage der Odenwald nicht mehr; warum sollte er es aber nicht gewesen sein, als er den Namen empfing? Das Glück wohnt, wenn irgendwo, in den Wäldern; doch weshalb vorzugsweise in diesem? Pries man ihn glücklich wegen der schönen Mischung von Laub- und Nadelholz, bei welcher jenes durchaus die Oberhand behält, oder der Milde seines Klimas wegen, die er der geringen Erhebung seiner Gebirge verdankt, die 2000 Fuß Meereshöhe selten übersteigen, während jene des föhrenreichen Schwarzwalds sich fast der Schneelinie nähern, indem das Eis mancher Schluchten nur in heißeren Sommern schmilzt? Wir ziehen die erste Ableitung vor, die mit der ältesten urkundlichen Form des Namens am besten stimmt; nur darf man dabei nicht an den viel jüngeren Kaiser Otto (Ottenwald) denken.

Weiterlesen „Karl Simrock | Der Rhein | Bergstraße und Odenwald“