Erinnerungen eines Tierfreundes
Meine ersten Erinnerungen knüpfen sich an einen Sperling. Ich kniee als kleiner Bube in unsrer ebenerdigen Wohnstube auf einem Stuhl, dessen Lehne der Fensterbank zugekehrt ist, und blicke, den blonden Krauskopf in die Linke gestützt, gelangweilt auf die Straße hinaus. Hier plätschert der Regen auf die blanken Pflastersteine hernieder und heult der Wind in bald schwellenden, bald abnehmenden Accorden an den Häusern entlang. Die lärmenden Spiele froher Kinder sind draußen verstummt; die Straße liegt leer und einsam, nur hin und wieder arbeitet sich ein tief herabgezogener, gegen den Wind gestemmter Regenschirm vorüber, unter dem entweder zwei Stiefel mit einem Stückchen Hose oder der Saum eines Frauenkleides sichtbar werden. Ich starre und starre wie in eine fürchterliche Oede. Da wird plötzlich von einer Dachrinne oder sonst woher ein Spatz durch die Gewalt des Windes auf das Pflaster verschlagen. Wie betäubt bleibt er einige Sekunden regungslos auf den roten Granitsteinen hocken. Meine Augen – ich fühle es – treten dick aus dem Kopfe hervor, sie verschlingen den Sperling. Wie? wenn er nicht fliegen könnte? Hatte ich damals schon meinen Schiller gekannt, ich würde mit Begeisterung deklamiert haben:
Weiterlesen „Th. Berthold | Lustige Gymnasialgeschichten | Erinnerungen eines Tierfreundes“