Die Rose von Seeland
Die Wogen des baltischen MeeresDie Ostsee.stürmten an SeelandsHauptinsel Dänemarks.grünenden Ufern vorüber.
Wenn um die frühe Morgenstunde der erste Sonnenstrahl auf den bewegten Wellen zittert, dann blitzt es auf wie Perlen und Diamanten, eine leuchtende Purpurröte bedeckt die wallende Fläche; die hüpfenden Wellen scheinen einen Blätterkranz zu bilden, aus dessen Mitte seltsame Zauberblumen hervorsprießen.
Der Fischer steht mit übereinandergeschlagenen Armen an der Küste; er beschaut sinnend das herrliche Naturspiel und murmelt vor sich hin: »Das ist die Rose von Seeland.«
Die Rose von Seeland war ein junges Mägdlein, die Tochter eines Fischers. Sie ist schon längst verstorben, aber noch immer lebt ihr Andenken im Munde des Volkes. Der Küstenbewohner jener stolzen Insel ist nicht unempfindlich für die Reize der Jugend und Schönheit; er preist, er bewundert sie, wenn er ihnen begegnet; aber im stillen setzt er hinzu: »Es ist doch nicht die Rose von Seeland!«
Rose war noch nicht ganz sechzehn Jahre alt; leicht und zierlich gebaut wie eine Nymphe, in ihrem Kopf zwei blaue Augen, feuchtschimmernd wie zwei hellglänzende Seesterne, eine vollkommene Tochter des Meeres. Des Vaters Auge ruhte voll unaussprechlicher Wonne auf ihr, die Blicke der Liebhaber folgten ihr mit Entzücken. Wer einmal einen recht frohen Tag haben wollte, der klopfte an ihre Hütte und sagte: »Schöne Rose, lächle mir zu!« Das tat sie und kein Mißgeschick rief im Lauf des Tages eine Wolke auf seine Stirn. Wer eine große Herzensqual erduldete, der trat ihr in den Weg und sprach: »Schöne Rose, sieh mich an!« – dann richtete sie einen Blick des unnennbaren Mitleids auf den Unglücklichen, und alsbald versiegten seine Tränen.
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