Joachim Ringelnatz | Landflucht

Landflucht

       Fort vom Lande, aus dem engen
Städtchen in die Großstadt flieht der Geist,
Wo im Kampf der Mengen
Er zerreißt.
Dort, wo Puls und Uhr
Schneller ticken,
Wird er sich zusammenflicken,
Wenn er’s erst versteht,
Daß die unbezwingliche Natur
Auch auf Radiowellen, Schienenspur
Und Propellerschwingen weitergeht.Wenn ihm das gelingt,
Wenn er nicht darüber ganz verkommt,
Wenn ihm die Erkenntnis frommt,
Daß die Nachtigall genau so singt
Wie ein Spatz
Am Alexanderplatz, – – –
Ja, dann wird ihn wohl von Zeit zu Zeit
Eine Sehnsucht wieder landwärts tragen
In die Enge, in die Einsamkeit. – –
Bis die simplen, friedlichen, gesunden
Bauern ihn nach Tagen
Oder Stunden
Wiederum verjagen;
In die große Stadt zurück.
Und dort wird er sagen:
Nur im Ruhelosen ruht das Glück.

ringelnatz

Joachim Ringelnatz (1883-1934)

Joachim Ringelnatz | Ausflug

Ausflug

       Es wehten Sommerkleider. Enten schnabelten.
Es knirschten kleine Steine,
Und meine Blicke wippten über Beine
Von Mädchen, die Mist gabelten.Ein weidgerechter Jäger kam daher,
Der sein Gewehr
An einem Fels zerschlug
Und sprach: »Genug!«Scheu dumme – heißt nach unsrer Weltanschauung –
Scheu dumme Hühner flüchteten nervös,
Und eine himmlische Erbauung
Kam über mich. Ich war niemandem bös.Im Achtzigkilometertempo prickelten
Uns Phantasien über Tod und Glück,
Und in dem Staub, den wir dabei entwickelten,
Blieb rein Geschautes jämmerlich zurück.Wie ich mich fremd in viel Intimes dachte,
So schnell vorbei, war’s keine Sünd.
Zerzaust, beglückt, weil mir die Landschaft lachte
Zur Autofahrt Stuttgart nach Schwäbisch-Gmünd.

ringelnatz

Joachim Ringelnatz (1883-1934)

Joachim Ringelnatz | Maler und Tierfreund

Maler und Tierfreund

                   Ich hatte eine Landschaft in Öl gemalt,
Und sie gefiel mir sehr:
Ein blauer Himmel, aus dem die Sonne wie Wonne strahlt,
Und darunter weites, ruhiges, grünes Meer.
»Einsame Sehnsucht.«Danach fuhr ich irgendwo hin,
Um einen kleinen Affen zu erwerben,
Weil ich ein Tierfreund bin. Weiterlesen „Joachim Ringelnatz | Maler und Tierfreund“

Joachim Ringelnatz | Tierschutz-Worte

Tierschutz-Worte

       Seien Sie nett zu den Pferden!
Die Freiheit ist so ein köstliches Gut.
Wie weh Gefangenschaft tut,
Merken wir erst, wenn wir eingesperrt werden.Seien Sie lieb zu den Hunden!
Auch zu den scheinbar bösesten.
Kein Mensch kann in Ihren schlimmen Stunden
Sie so, wie ein Hund es kann, trösten.Gehen Sie bei der Wanze
Aufs Ganze.
Doch lassen Sie krabbeln, bohren und graben
Getier, das Ihnen gar nichts entstellt.Alle Tiere haben
Augen aus einer uns unbekannten Welt.Kochen Sie die Forelle nicht
Vom Kaltwasser an lebendig!Auch jeder Gegenstand hat sein Gesicht,
Außen wie inwendig.
Und nichts bleibt vergessen.Die Ewigkeit, die Unendlichkeit
Hat noch kein Mensch ausgemessen,
Aber der Weg dorthin ist nicht weit.Suchen Sie jedwede Kreatur
In ihr selbst zu begreifen.
Jedes Tier gehorcht seinem Herrn.Sich selber nur
Dürfen Sie – und sollen es gern –
Grausam dressieren (die Eier schleifen).
ringelnatz

Joachim Ringelnatz (1883-1934)

Joachim Ringelnatz | Zehn Mark, my dear

Zehn Mark, my dear

       Heusinger war heute bei mir.
Ob ich morgen mit zum Rennen käme,
Weil doch wiedermal sein Pferd My Dear
An dem Derby teilnehme.Das dumme Tier My Dear
Ist noch gar nicht hier.
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Joachim Ringelnatz | Meditation

Meditation


Wolleball hieß ein kleiner Hund,
Über den ein jeder lachte,
Weil er keine Beine hatte und
So viel süße Schweinereien machte.
Warum ist man überall geniert?
Warum darf man nicht die Wahrheit sagen?
Warum reden Menschen so geziert,
Wenn sie ein Bein übers andre schlagen?

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Joachim Ringelnatz | Ballade

Ballade

Tief im Innersten von Sachsen
überfielen eines Abends zwei
Halbwüchsige Knorpel von Schweinshaxen
Eine Bulldogge aus der Walachei.
Sie umzingelten den alten Hund.
Hinterlistig wollten sie das matte
Tier, das keine Zähne mehr im Mund
Und auch keine Haare darauf hatte,

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Joachim Ringelnatz | Der wilde Mann von Feldafing

Der wilde Mann von Feldafing

     Er schien zum Kriegsmann geboren.
Er trug nach allen Seiten hin Bart.
Selbst seine Beine waren behaart
Und steckten in Stiefeln mit Sporen.
Und trutzig über der Schulter hing
Ihm ein gewichtig Gewehr.
Mit gerunzelter Stirne ging
Er auf dem Bahnhof von Feldafing
Hin und her.
Und stehend, stolz und schulterbreit
Fuhr er dann zwei Stationen weit.
Die Kinder bestaunten ihn sehr.
Doch ehe noch ein Tag verging,
Schritt er schon wieder durch Feldafing
Mit einem Rucksack schwer.
Doch weil es so stark regnete,
Daß niemand ihm begegnete,
Ärgerte er sich sehr.
Als er durch seinen Garten schritt,
Sang dort ein Vögelchen Kiwitt,
Da griff er zum Gewehr:
Puff!!!Ein kurzes Röchelchen –
Ein kleines Löchelchen –
Dann eine Katze – und etwas später:
Ein kleines Knöchelchen
Und eine Feder. –Der wilde Mann von Feldafing.
ringelnatz

Joachim Ringelnatz (1883-1934)

Joachim Ringelnatz | Maler und Tierfreund

Maler und Tierfreund

                   Ich hatte eine Landschaft in Öl gemalt,
Und sie gefiel mir sehr:
Ein blauer Himmel, aus dem die Sonne wie Wonne strahlt,
Und darunter weites, ruhiges, grünes Meer.
»Einsame Sehnsucht.«Danach fuhr ich irgendwo hin,
Um einen kleinen Affen zu erwerben,
Weil ich ein Tierfreund bin.
Aber was einem die Tiere nicht alles verderben.Wieder zu Haus, stieß ich aus einen Schrei,
Denn mein Bild war verhext.
Erstens hatte mein Papagei
Etwas Groteskes ins Meer gekleckstUnd das geradezu künstlerisch kühn.
Aber das Wasser selber war abgeleckt
Von meinem Wolfshund. Der lag vom Schweinfurter Grün
Vergiftet am Boden, verreckt.In den Himmel hatte sich eine Fliege geklebt,
Und zwar mit dem Rücken.
Die strampelte, wie man, wenn man Großes erlebt,
Mit den Beinen strampelt vor lauter Entzücken.Und offenbar nicht minder beglückt
In ihrer Nähe
Hing auch mein Laubfrosch ans Bild angedrückt
Und tat so, als ob er die Fliege nicht sähe.Da wollte mein Affe mit lautem Geschrei – – –
Doch ich band ihn fest. Und lächelte dann.
Wie gut, daß man bei der Ölmalerei
Alles noch übermalen kann.Mit Phantasie das Gegebne fixiert –
Genie und Farbe und Lichter dick aufgetragen –
Schwarz, Weiß, Rot, Ocker mutig darüber geschmiert – – –
Ein schönes Bild, muß ich selber sagen,
»Mein Selbstporträt«.
ringelnatz

Joachim Ringelnatz (1883-1934)

Antwort auf einen Brief des Malers Oskar Coester

Antwort auf einen Brief des Malers Oskar Coester

               Ein Wort auf das, was du gesprochen.
Stütz guten Kopf in gute Hand
Und laß dein Herz ans Weinglas pochen:Heimat ist kein begrenztes Land.
Auch wo man Muttersprache spricht,
Ist Heimat nicht.
Mich deucht, es will auch nichts besagen,
Ob einer seine Heimat kennt.
Denn Lüge ist, was auf Befragen
Das Heimweh uns als Heimat nennt.Ein schmutzig Loch kann rührend sich verkneifen,
Und höchste Würde kann zur Blase reifen.Stich fest in das Humorische!Heimat? Wir alle finden keine,
Oder – und allerhöchstens – eine
Improvisatorische.
Es kommt auch gar nicht darauf an. – –Ich danke dir für den Vergleich
Mit einem braven Reitersmann.
Man tue möglichst, was man kann.Coester, du bist von Gott aus reich.
Schäum aus, was du zu schenken hast;
Das Letzte wäre dir noch Last.
Und warte frech, doch fromm auf Leiden.Denn du wächst neben dem Jahrhundert.
Du bist der größre von uns beiden.
Ich habe dich so oft bewundert. –
Wie kläglich ist es zu beneiden. –Du wurdest leider mir von fern
Noch lieber, als du warst im Nahen.
Nun, da wir lange uns nicht sahen,
Bild ich mir ein: Du hast mich gern.
Ach bitte komme bald zurück
Mit offnem, unverwitzeltem Vertraun.Ich wünsche dir fürs neue Jahr viel Glück,
Eine Frau (zur Hochzeit mich einladend)
Und andre große Nebenfraun
Und was du sonstens wichtig brauchst.
Daß du nie anders, als wie badend,
Auch für Minuten nur untertauchst.
ringelnatz

Joachim Ringelnatz (1883-1934)