William Russell | Die Seekönigin [ 3/27 ]

Drittes Kapitel.
Die Tynemündung im Sturm

Zuguterletzt machte mein Vater aber eine Erfahrung, die ihn endlich zu einem Entschlusse brachte, obgleich sie ihn wohl kaum beeinflußt hätte, wäre er nicht schon ohnehin geneigt gewesen, die See zu verlassen.

Er hatte das Kommando über eine Brigg übernommen, deren Mitreeder er war und die mit Kohlen nach Calais gehen sollte. Meine Mutter erhielt von ihm einen Brief, der von jenem Hafen aus datiert war, und in dem er uns sagte, wir könnten ihn an dem und dem Mittwoch erwarten. Natürlich wußten wir, daß sein pünktliches Eintreffen vom Wetter abhing, aber gewöhnlich war er sehr zuverlässig in seinen Berechnungen und irrte sich selten um mehr als einen oder zwei Tage, wenn er kurze Küstenreisen machte.

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Jonathan Swift | Gulliver’s Reisen | Vierter Theil | Reise in das Land der Hauyhnhnms | [2.Kapitel]

Zweites Kapitel.

Der Verfasser wird von einem Hauyhnhnm in dessen Haus geführt. Beschreibung des Hauses. Aufnahme des Verfassers. Nahrung der Hauyhnhnms. Der Verfasser kömmt in Noth wegen Mangels an Speise, wird aber zuletzt daraus erlöst. Seine Nahrung in diesem Lande.

Als wir ungefähr anderthalb Stunden gegangen waren, kamen wir zu einer Art von Haus, welches aus eingerammten und kreuzweise gelegten Balken bestand. Das Dach war niedrig und mit Stroh bedeckt. Ich faßte somit wieder einigen Muth und zog einiges Spielzeug, welches die Reisenden als Geschenke für Wilde in Amerika und andern Welttheilen mitzubringen pflegen, aus der Tasche, denn ich hoffte, die Bewohner des Hauses würden dadurch bewogen werden, mich freundlich aufzunehmen. Das Pferd gab mir ein Zeichen, zuerst hineinzugehen; es bestand aus einem großen Raume mit einem Lehmboden und mit Trögen und Krippen, welche sich an der Wand hin ausdehnten. Ich sah dort zwei Klepper und zwei Stuten, welche nicht aßen, und wovon Einige zu meinem Erstaunen auf ihren Schenkeln saßen; noch mehr aber wunderte ich mich, als ich sah, wie die übrigen in der Haushaltung beschäftigt waren, obgleich sie nur aus gewöhnlichem Vieh bestanden. Dies bestätigte meine Vermuthung, ein Volk, welches unvernünftige Thiere so sehr zu civilisiren verstehe, müsse nothwendig alle Nationen der Welt an Weisheit übertreffen. Der Braune kam gleich hinter mir drein, und verhinderte dadurch eine schlimme Behandlung, die ich vielleicht von den andern hätte erleiden müssen. Er wieherte mehrere Male im Tone des Befehls und erhielt Antwort.

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Karl Simrock | Der Rhein | Zweiter Teil | Der Eichelstein

Der Eichelstein

Nach dieser Herzensergießung führte mich der Greis über den Flur seiner Wohnung in das zweite Turmzimmer, dessen nach Südosten gerichtetes Fenster eine Aussicht von überraschender Schönheit darbot. Zwar macht sich jene allmählich ansteigende beackerte Fläche, welche den Namen Hechtsheimer Berg führt, in der Nähe so breit, daß der Blick in das obere Rheintal zu dringen verhindert wird. Sie entzieht ihm selbst das benachbarte Weißenau, dessen Kirchturm allein noch sichtbar bleibt. Aber über dem Hechtsheimer Berg schiebt sich das viel entferntere Gebirge der Bergstraße und des Odenwaldes mit seinen blauen Gipfeln im Halbzirkel vor, und das von der Wendung des Stroms getäuschte Auge wähnt es größtenteils, gleich den Vogesen und dem Donnersberg, auf der linken Rheinseite gelegen.

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William Russell | Die Seekönigin [ 2/27 ]

Zweites Kapitel.
Kindheit

Unbeschreiblich ist der Reiz, den unser altes Wohnzimmer in meiner Kindheit für mich hatte. Es war mir streng verboten worden, irgend etwas anzufassen; doch wurde ich nie müde, mir die ›Kuriosa‹, wie mein Vater sie nannte, anzusehen, was wohl zur Genüge beweist, wie groß ihre Anziehungskraft für mich war. Denn welches Kind mag lange beschauen, was es nicht anfassen darf? All diese Sachen riefen in mir kindliche, harmlose Gedanken wach. Meines Vaters Gespräche, wenn er daheim war, die Geschichten, die mir meine Mutter von seinen Reisen erzählte, und die Wunder der tiefen See kamen mir bei meinen Gedankenbildern zu Hilfe oder bildeten vielmehr das Fundament derselben. Meine frühesten Erinnerungen sagen mir, daß ich die Speere und den Schild über dem ovalen Spiegel nie ansehen konnte, ohne an unermeßliche blaue Wasserflächen und an grüne, schimmernde Inseln zu denken, die wie in einem Bette flüssigen Glases ruhten. Ich sah im Geiste dunkle Gestalten durch die schneeweiße Brandung schwimmen oder auf dem goldgelben Sande dahinlaufen; die Luft war mit dem Dufte der Orangen- und Limonenbäume erfüllt und die würzigen Haine verbreiteten einen berauschenden Geruch. Die chinesischen Elfenbeinschnitzereien ließen mich von Elefanten und grünen sonnenschirmähnlichen Palmen und seltsam geformten Tempeln träumen, deren Inneres von Edelsteinen glänzte. Wahrhaftig, im Herzen war ich schon wanderlustig, als ich noch nicht alt genug war, meine Hafergrütze allein zu essen, und ich schwärmte für Seeleute und Schiffe und flog im Geiste wie ein Vogel über den Spiegel des Ozeans, noch ehe meine Zunge die Worte korrekt aussprechen konnte.

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Jonathan Swift | Gulliver’s Reisen | Vierter Theil | Reise in das Land der Hauyhnhnms | [1.Kapitel]

Erstes Kapitel.

Der Verfasser segelt als Kapitän eines Schiffes ab. Seine Leute verschwören sich gegen ihn, verschließen ihn längere Zeit in seiner Kajüte und setzen ihn in einem unbekannten Lande an’s Ufer. Er reist in das Innere desselben. Beschreibung des Yähu, eines sonderbaren Thieres. Der Verfasser begegnet zwei Hauyhnhnms.

Ich blieb ungefähr fünf Monate bei meiner Frau und meinen Kindern, und zwar in einem sehr glücklichen Zustande; hätte ich nur lernen können, daß ich in Wahrheit glücklich war. Ich verließ meine arme Frau guter Hoffnung, und nahm ein vorteilhaftes Anerbieten, Kapitän des »Abenteurers« zu werden, an, eines großen Kauffahrers von dreihundertundfünfzig Tonnen. Ich war nämlich der Nautik vollkommen kundig und der Beschäftigung eines Wundarztes müde geworden, die ich nur gelegentlich zur See ausüben wollte. Deßhalb nahm ich einen geschickten jungen Mann dieses Standes, Robert Purefoy, in mein Schiff auf. Wir segelten von Portsmouth am 7. September 1710, und am 14. trafen wir bei Teneriffa auf den Kapitän Pocock, welcher nach Honduras segelte, um das Campescheholz zu fällen. Am 16. wurde er durch einen Sturm von uns getrennt, und ich habe seitdem gehört, daß er scheiterte, und daß die ganze Mannschaft, mit Ausnahme eines Küchenjungen, zu Grunde ging. Er war ein ehrlicher Mann und seines Handwerks vollkommen kundig, allein zu hartnäckig in seinen Meinungen, und dies war der Grund seines Untergangs, wie bei vielen andern. Wäre er meinem Rathe gefolgt, so säße er jetzt in derselben Sicherheit, wie ich, bei seiner Familie.

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Karl Simrock | Der Rhein | Zweiter Teil | Die Zahlbacher Wasserleitung

Die Zahlbacher Wasserleitung

Römersteine im Zahlbachtal

Als die Urheberin dieses gewaltigen Werkes, als die Gründerin von Mainz, ist die 14. Legion anzusehen, welche unter Titus, der die Standquartiere veränderte, von der 22. abgelöst wurde. Wenn man die Arbeiten betrachtet, durch die sie sich in unserer Gegend ewige Denkmale gestiftet haben, so muß man über die Anstrengungen erstaunen, welche damals dem Krieger auch in Friedenszeiten zugemutet wurden.

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William Russell | Die Seekönigin [ 1/27 ]

Erstes Kapitel.
Mein Geburtsort Newcastle am Tyne

Ich bin nicht nur eines Seemanns Tochter, sondern kann sogar behaupten, daß ich unter Seeleuten geboren wurde und zwar mit demselben Rechte, als ob ich an Bord eines Schiffes das Licht der Welt erblickt hätte. An dem betreffenden Abende nämlich befand sich gerade eine ganze Gesellschaft von Kapitänen und Steuerleuten im Wohnzimmer unseres Hauses. Wie meine Mutter oft erzählte, war das Zimmer so voll Tabaksqualm, daß die Gestalten der Gäste nur in schattenhaften Umrissen sichtbar waren, als der Arzt hineintrat, um meinem Vater die Nachricht von meiner Ankunft zu überbringen. Als er ihn nach längerem Suchen entdeckt zu haben glaubte, klopfte er ihm auf die Schulter und sagte: »Kapitän, ein kleines Sorgenbündel ist eben für Sie angekommen, ein niedliches kleines Mädchen. Soviel ich sehen kann, verspricht sie Ihnen ähnlich zu werden.« Dann erst bemerkte er, daß er sich an den Unrechten gewandt hatte.

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Karl Simrock | Der Rhein | Zweiter Teil | Gründung von Mainz

Gründung von Mainz

Der als Weinberg angelegte Kästrich. Detailausschnitt aus Matthäus Merian dem Jüngeren, 1655.

Das erste Fenster, an das wir treten, hat die südwestliche, vom Rhein abgekehrte Richtung nach dem Inneren des Landes. Links sieht man die aus dem Gautor tretende Alzeyer Straße, die auch Napoleons Namen trägt, die Felder durchschneiden, rechts läuft eine andere nach Ingelheim und Bingen. Geradeaus hat man Bretzenheim vor sich; das nähere Zahlbach verbirgt sich in dem Tal der Zei. Wir öffnen nun das Fenster und blicken ins Freie. Ein belebender Strom köstlicher goldener Luft quillt uns entgegen. Rechts dehnt sich der nun erweiterte Gesichtskreis bis tief in den Rheingau aus. Zu unseren Füßen sehen wir den innerhalb der Stadtmauern liegenden Kästricher Weinberg, über ihm eine einzelne, keineswegs glänzende Häuserreihe, der Kästrich genannt. Den Wein, welcher in jenem – auf klassischem Boden – gewonnen wird, schätzt man dem Hochheimer gleich. Dasselbe hört man von dem Gewächs des Jakobsbergs unter der Zitadelle versichern. Immer wird aber die Domdechanei, die beste Hochheimer Lage, ausgenommen.

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Jonathan Swift | Gulliver’s Reisen | Dritter Theil. | Reise nach Laputa | [11.Kapitel]

Elftes Kapitel.

Der Verfasser verläßt Luggnag und segelt nach Japan. Von dort kehrt er auf einem holländischen Schiffe nach Amsterdam und von dort nach England zurück.

Ich habe geglaubt, mein Bericht über die Struldbruggs könne dem Leser einige Unterhaltung gewähren, weil er etwas Ungewöhnliches enthält. Ich erinnere mich wenigstens niemals etwas Aehnliches in irgend einer Reisebeschreibung, die mir in die Hände gekommen ist, gelesen zu haben. Habe ich mich getäuscht, so muß es zu meiner Entschuldigung gereichen, daß Reisende, welche dasselbe Land beschreiben, häufig bei denselben Umständen verweilen müssen, ohne den Tadel zu verdienen, sie hätten von ihren Vorgängern abgeschrieben.

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Karl Simrock | Der Rhein | Zweiter Teil | Stephansturm

Stephansturm

St. Stephan zu Mainz: Blick vom Bonifaziusturm A auf den großen Glockenturm, der jahrhundertelang der höchste Punkt der Stadt war, und das Langhaus.

Was könnten wir Besseres tun als uns sofort in die goldene Luft zu begeben und so hoch in ihr emporzusteigen als möglich? Die Mittel dazu bietet uns der 210 Fuß hohe Turm der Stephanskirche, die unweit der goldenen Luft auf dem höchsten Punkt der Stadt liegt. Wir lassen uns durch die Kirche unter ihm nicht aufhalten, obgleich Willigis sie gestiftet hat, der auch in ihr begraben liegt und dessen glockenähnliches Meßgewand sie als eine unschätzbare Reliquie bewahrt.

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